Im Einklang mit der Natur: Mensch und Tier in Harmonie
Christine Valentin
Wie kann es aussehen, wenn die gewohnte Hierarchie auf den Kopf gestellt wird und Tiere nicht nur Begleiter des Menschen, sondern eine zentrale Rolle übernehmen? Inmitten einer malerischen Landschaft entfaltet sich eine idyllische ländliche Szene, die auf besondere Weise eine Verbundenheit zwischen einer Herde und ihrer Hirtin zeigt.
Im Vordergrund des Bildes ist eine Gruppe von Weidetieren zu erkennen, in deren Mitte eine schlafende Hirtin ruht. Mit ihrer Herde aus Schafen, Ziegen und Rindern haben sie Rast in einer Landschaft der römischen Campagna eingelegt, während die Szene von der warmen Abendsonne erleuchtet wird. Die Ruinen antiker Bauwerke symbolisieren die Vergänglichkeit menschlicher Schöpfungen und unterstreichen die Natur als unvergängliche Kraft.
Die Hirtenidylle wird gerne genutzt, um die Vorstellung eines einfachen Lebens im Einklang mit der Natur zu romantisieren. Die Verherrlichung des Schäferlebens als frei und tugendhaft ist eine Vorstellung, die bis in die Antike zurückreicht und von römischen Dichtern wie Horaz und Vergil aufgegriffen wurde.[1]
Im 17. Jahrhundert prägten Gegensätze die deutsche Dichtung: Stadt und Hof standen für Laster, das Landleben für ein ideales, sorgenfreies Dasein. Daher wurden die Roos-Werke besonders von der höfischen und städtischen Gesellschaft begehrt, da sie die Sehnsucht nach dieser Idylle stillten.[2]
Insbesondere in der Interaktion von Mensch und Tier erzeugt Roos eine Harmonie. Der Mensch übernimmt nicht die dominante Rolle. Ein Rind steht zentral über der Hirtin, blickt direkt zum Betrachter, während andere Tiere friedlich mit der Hirtin ruhen. Durch die Umkehr der gewohnten Hierarchie räumt er den Tieren eine zentrale Bedeutung ein. Diese Darstellung erzeugt ein Gefühl von Vertrautheit und Fürsorge zwischen Hirtin und ihrer Herde. Die Tiere werden hier nicht als bloße Nutztiere, sondern als gleichwertige Lebewesen gezeigt, die in der Idylle friedlich miteinander existieren. Johann Heinrich Roos ist ein Meister in der Darstellung von Weidetieren, die anhand einer detailreichen Physiognomie und einem schönen Zusammenspiel der Tiere überzeugt. Neben den Gemälden sind besonders seine Radierungen hervorzuheben, die diese Präzision eindrucksvoll widerspiegeln. Auch Philipp Peter Roos, der Sohn des Künstlers, verfolgte einen ähnlichen Ansatz, indem er den Fokus auf die Tiere legte.
In dem Werk Hirten und Herden unter Ruinen wird die Tierwelt nicht nur als Begleiter des Menschen gezeigt, sondern sie übernehmen eine eigenständige Rolle in der Komposition. Das Werk zeigt eine enge Verbindung zwischen Mensch und Tier in einer friedlichen harmonischen Gemeinschaft und lädt dazu ein, Tiere nicht nur als Nutztiere, sondern als essenziellen Bestandteil der Natur zu betrachten. Dennoch bleibt die Idylle eine idealisierte Vorstellung, die die harte Realität des Hirtenlebens ausblendet. Zwar verbrachten Hirten viel Zeit mit ihrer Herde, sorgten und schützten sie, wodurch eine gewisse Vertrautheit und Fürsorge entstehen konnte. Doch trotz dieser Tatsache wurden sie in erster Linie als Nutztiere betrachtet. Der Alltag eines Hirten war mühsam und weit entfernt von der idealisierten Ruhe, die in der Hirtenidylle dargestellt wird. Das Werk mag sowohl eine gewisse Wahrheit als auch einen Wunsch nach einer innigen Verbindung mit Tieren und Natur widerspiegeln.
Wie könnte ein harmonisches Zusammenleben von Mensch und Tier heute aussehen?
[1] Vgl. Jarchow 1986, S. 21f.
[2] Vgl. Ebd., S. 22-24.

Hartmut Kiewert, Share II, 2024, Öl auf Leinwand, 120,0 x 150,0 cm, Im Besitz des Künstlers.

Hartmut Kiewert, Brunnen, 2020, Öl auf Leinwand, 150 x 240 cm

Hartmut Kiewert, Picknick IV, 2024, Öl auf Leinwand, 190 x 270 cm
Der zeitgenössische Künstler Hartmut Kiewert (geb. 1980) veranschaulicht in seinen Werken, wie ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Tier aussehen könnte. Seit 2008 beschäftigt sich der Künstler intensiv mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier, das er in seiner Malerei auf neue Weise interpretiert. Er stellt Tiere als gleichwertige Subjekte neben dem Menschen in einem gemeinsamen Raum dar. In seinen Werken thematisiert er die Verdrängung der Herkunft tierischer Produkte und setzt der Abwesenheit der Schlachtprozesse die Materialität der Tierkörper entgegen.[1]
In dieser Utopie wird das Leben in Harmonie, frei von Kontrolle über die Natur, dargestellt, was an eine Idylle erinnert, die frei von gesellschaftlichen Normen, Zwängen und Machtansprüchen ist.[2] Im Gegensatz zu Roos stellt Kiewert die Tiere außerhalb ihrer gewohnten Räume in der Stadt dar und befreit sie aus ihrer Funktion für die Menschen.
[1] Vgl. Kiewert
[2] Vgl. Thürigen u. Hess u. Böhm 2024, S. 308

Philipp Peter Roos, gen. Rosa da Tivoli, Hirtenidyll, 1690/1700, Öl auf Leinwand, 107,5 x 150 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Gm 1323
Auch beim ältesten Sohn, Philipp Peter Roos, auch bekannt als Rosa da Tivoli, lässt sich eine ähnliche Vorgehensweise erkennen. In besonderer Weise setzte er die Tradition seines Vaters fort, weicht jedoch in der Detailgenauigkeit der Darstellung von ihm ab und entwickelte einen eigenen Stil. Dennoch bleiben die Bildthemen und der Fokus auf den Tieren bestehen. Das Hirtenidyll eignet sich hervorragend für eine Gegenüberstellung. Wie bei seinem Vater zeigt der Künstler den Menschen nicht als dominierende Kraft, sondern als Teil der Gruppe, in dem Tiere als gleichwertige Wesen zu betrachten sind. Diese Darstellung wird durch die ähnliche Erscheinung von Hirte und Herde verstärkt, was durch die Struktur des Fells, die Kleidung des Hirten und seiner Haartracht sowie die wiederholende Farbigkeit betont wird. In diesem Werk ist die Hierarchie nahezu umgekehrt. Die Tiere werden als selbstständige Wesen dargestellt, wobei sogar der Hund, der normalerweise als Begleiter des Menschen untergeordnet ist, über dem Hirten steht. Der Ziegenbock wird als majestätisches Wesen mit seinem direkten Blick und imposanten Geweih über dem Menschen positioniert und ist Zentrum der Komposition.
Literatur
Hartmut Kiewert, https://hartmutkiewert.de [03.02.2025].
Best.-Kat. Berlin, Kupferstichkabinett: Roos. Eine deutsche Künstlerfamilie des 17. Jahrhunderts. Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen und Radierungen von Johann Heinrich, Theodor, Philipp Peter, Johann Melchior, Franz und Peter Roos im Besitz der Berliner Kupferstichkabinetts, hg. v. Margarete Jarchow, Berlin 1986.
Ausst.-Kat. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum: Hello Nature. Wie wollen wir zusammenleben?, hg. v. Susanne Thürigen u.a., Nürnberg 2014.