Moskau oder Madrid – Hauptsache Tierwelten

Paula Schulze

Allegorie, Vedute, naturwissenschaftliche Tierstudien oder fein arrangierte Genredarstellungen – all das vereint Jan van Kessel in seinem Erdteil-Zyklus aus dem 17. Jahrhundert. Je länger der Blick verweilt, desto mehr Details treten hervor, und man gerät in den Sog einer meditativen Naturbetrachtung.

Jan van Kessels Erdteil-Zyklus ist eine faszinierende Inszenierung von Allegorie, Naturstudie und kultureller Repräsentation. Die vier Gemälde zeigen die Personifikationen der Kontinente in opulenten Räumen voller Artefakte, Gemälde und Naturdarstellungen, die die Vielfalt der Welt widerspiegeln. Europa, das Zentrum dieses Zyklus, erscheint in einer prunkvoll ausgestatteten Loggia, in der Kunst, Wissenschaft und Macht symbolisch ineinander fließen.

Im Vordergrund thront die weibliche Personifikation Europas in goldgelbem Brokatgewand, Hermelinpelz und Krone – Attribute imperialer Würde. Ein Putto reicht ihr ein Füllhorn mit Früchten, während ihre rechte Hand in eleganter Geste auf ihrer Brust ruht. Um sie herum entfaltet sich ein komplexes Arrangement von Objekten, die Herrschaft, Religion und Wissenschaft illustrieren. Auf einem Tisch liegen die päpstliche Tiara, der Schlüssel Petri und eine Bulle, ergänzt durch ein aufgeschlagenes Buch, einen Kardinalshut, ein Schwert und das Papstkreuz. Hinter diesen Insignien trennt eine kleine Herkulesfigur den kirchlichen Bereich von einem Blick auf die Engelsburg – ein Symbol für die geistliche und weltliche Bedeutung Roms.

Gegenüber, im rechten Vordergrund, ist ein Arsenal militärischer Macht zu sehen: Rüstungen, Lanzen und Trommeln flankieren einen Himmelsglobus und ein aufgeschlagenes Buch mit Insektenstudien, das den wissenschaftlichen Geist der Zeit verkörpert. Die Welt als Schauplatz europäischer Expansion und Erforschung wird durch Stadtansichten im Hintergrund und topographische Gemälde akzentuiert.

Kunst und Natur durchdringen sich in einer Vielzahl kleinformatiger Werke, die detailreiche Tier- und Insektenstudien zeigen. Besonders auffällig ist ein Bild mit Schmetterlingen, Käfern und einer Vogelspinne, welches von einer männlichen Assistenzfigur auf einem Stuhl präsentiert werden. Darunter findet sich ein Gemälde, auf dem van Kessels Signatur aus Raupen und Würmern gebildet ist. Es betont das Zusammenspiel von Naturbeobachtung und Kunstfertigkeit.

Der untere Bildrand ist mit einer Fülle von Gegenständen versehen, die ein visuelles Quodlibet bilden: eine Schatulle mit Schmuck und einer Flöte, verstreute Münzen, eine Brille und ein Spieltisch mit Weingläsern und Pinseln. 

Van Kessels Komposition verbindet detailreiche Naturdarstellung mit ikonographischer Vielschichtigkeit. Die Allegorie Europas fungiert nicht nur als Identifikationsfigur für den Betrachter, sondern auch als Sinnbild für die europäische Deutungshoheit über Kultur, Wissenschaft und Religion – eine Weltordnung, die sich in diesen exquisiten Bildräumen kunstvoll verdichtet.

Die vier Erdteile: Europa

Jan van Kessel, um 1664/66, Öl auf Kupfer, 48,4 x 67,1 cm (Mitteltafel), München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 1910. 

Die vier Erdteile

Asien

Die Asien-Allegorie zeigt die sitzende Personifikation des Erdteils im rechten Bereich einer Terrasse, auf der im linken und rechten Vordergrund zahlreiche Kunstobjekte verteilt sind. Die Terrasse wird durch eine Rückwand vom Hintergrund getrennt, in der rechts zwei Statuen in Nischen stehen und links ein Torbogen Zugang zu einem von mehreren Figuren belebten Pavillon verschafft, in dem weitere Stauen aufgestellt sind. Links führt eine Balustrade in eine Parkanlage hinab, in der eine weitere Figurenstaffage verteilt ist; im Hintergrund der Anlage liegt Jerusalem.

Amerika

Die Amerika-Allegorie zeigt das Paar der Personifikation und ihres männlichen Assistenten im linken Vordergrund einer weiteren Loggia. Dorische Pilaster gliedern die Wand; über dem Gebälk sowie über der Tür sind schautafelartige Insektengemälde aufgehängt, als Supraporte fungiert zudem eine aus Muscheln geformte Maske. Durch die Tür tritt soeben ein von einer Tänzerin angeführter Zug teils musizierender, mit Federn geschmückter ‚Ureinwohner‘. In der vorderen Wand am rechten Bildrand hängen drei Gemälde mit vermeintlichen Alltagsszenen übereinander.

Afrika

Die Afrika-Allegorie zeigt die Personifikation des Kontinents im rechten Vordergrund eines weiteren einer Loggia ähnlichen Raums auf einem Löwen sitzend. Die zugehörige Männerfigur sitzt am linken Bildrand inmitten von Korbwaren.  Zwischen den Figuren sind Pokale, Porzellan und Kleinskulpturen auf dem Boden verteilt, zwischen denen Insekten und Reptilien kriechen. Hinter dem linken Bogen befindet sich eine Grotte, in der exotisch gekleidete Figuren die Statue eines Mischwesens anbeten, hinter dem rechten Bogen ist der Blick auf eine hügelige Landschaft freigegeben, in der eine herrschaftliche Figur mit großem Gefolge auf einem Elefanten reitet.

Die Tierdarstellungen

Die sechzehn kleinen Randgemälde, kunstvoll in einem Rahmen eingebettet, wirken fast wie winzige Fenster in eine andere Welt. Ihre prägnante Rahmung, die an der oberen Leiste den Namen der jeweils abgebildeten Stadt und an der unteren eine fortlaufende Nummerierung trägt, ist ebenso eine subtile Anordnung wie die Komposition selbst. Ein gemeinsames Schema durchzieht die Serie: Die Städte, die in den Hintergrund rücken und mit dem Himmel zu verschmelzen scheinen, sind nur der stille Beobachter der eigentlichen Szenerie. Im Vordergrund, erhöht und von einem scheinbar theatralischen Vorhang umgeben, erscheinen die Tiere als die wahren Protagonisten der Erzählung.

Le Cap St. Augustin

Buenos Aires

Aden

Genau hingeschaut!

Die Reihenfolge der Randgemälde, in der Europa-Allegorie von oben rechts gegen den Uhrzeigersinn angeordnet, lässt eine geordnete Reiseskizze entstehen: Köln, Paris, Antwerpen, Madrid, Krakau, Prag, Brüssel, Kopenhagen, London, Konstantinopel, Venedig, Moskau, Stockholm, Lissabon, Wien und Amsterdam. Mit dieser Aufstellung wird subtil Antwerpen hervorgehoben, der Heimatstadt des Künstlers, der diese Allegorie erschuf. In der Mitte der oberen Leiste, in goldenen Lettern, ragt „EUROPE“ hervor, und darunter „ROME“, als Verweis auf die zentrale Allegorie.

Freude am Überfluss

In Jan van Kessels „Erdteil-Zyklus“ wird die komplexe Beziehung zwischen Kunst, Natur und Menschen auf meisterhafte Weise entfaltet. Die Gemälde präsentieren eine Welt, in der kulturelle, wissenschaftliche und religiöse Symbole nicht nur die Macht und Herrschaft Europas veranschaulichen, sondern auch die tief verwobenen Verhältnisse zwischen Mensch und Natur. Besonders die detaillierten Darstellungen von Tieren und Insekten vermitteln die präzise Beobachtung der natürlichen Welt, die von den Menschen als Kunst und Wissen begreifbar gemacht wird.

Die Allegorie Europas steht im Zentrum dieses Dialogs zwischen der Natur als darstellbarem, beherrschbarem Objekt und der menschlichen Kultur, die ihre Interpretation und Kontrolle über die Welt beansprucht. Van Kessels Zyklus zeigt eine europäische Weltordnung, die sich in der Darstellung der Kunst als Instrument der Deutung und Aneignung der Natur manifestiert. Gleichzeitig wird in der Vielfalt der dargestellten Objekte auch der Reichtum und die Vielschichtigkeit menschlichen Schaffens sichtbar, das im Zusammenspiel mit der Natur und der Kunst seine eigene Bedeutung entfaltet.

Van Kessels Werk macht damit deutlich, dass Kunst weit mehr ist als bloße Repräsentation: Sie ist eine Brücke zwischen den Welten, in der die Grenzen zwischen Natur und Kultur, Wissenschaft und Religion verschwimmen. Es wird eine Vision von einer Welt präsentiert, in der der Mensch nicht nur die Natur betrachtet, sondern sie durch Kunst und Wissen neu erschafft und interpretiert. Das Gemälde lädt die Betrachter:innen ein, diese Wechselbeziehungen zu hinterfragen und die Macht der Kunst zu reflektieren, die die Welt sowohl abbildet als auch formt.

 

Literatur und Disclaimer

Hinweis zur Entstehung dieses Beitrags

Der Beitrag „Moskau oder Madrid – Hauptsache Tierwelten“ über Jan van Kessels Die vier Erdteile entstand im Rahmen eines universitären Seminars als experimentelle Auseinandersetzung mit dem Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz in der kunsthistorischen Forschung.

Die Ausgangstexte wurden mithilfe von ChatGPT-4o (OpenAI) erstellt und im Anschluss von der Autorin  sorgfältig überprüft, überarbeitet und ergänzt. Sämtliche inhaltlichen Informationen wurden auf fachliche Richtigkeit kontrolliert und basieren auf wissenschaftlich fundierten Quellen.

Der Beitrag erhebt jedoch nicht den Anspruch, eine vollständige oder methodisch umfassende kunsthistorische Analyse zu liefern. Vielmehr versteht er sich als exploratives Format, das aufzeigt, wie KI-gestützte Tools als unterstützende Werkzeuge in der kunsthistorischen Praxis eingesetzt werden können.

Robert Bauerfeind: Die Ordnung der Dinge durch die Malerei: Jan van Kessels Münchner Erdteile-Zyklus, Augsburg 2016.

Podcast von Ulrich Pfisterer zu den Bildern.