Landschaft als Spiegel der Seele
Lina Reck
Das Rauschen des weiten Meeres, das Kreischen der Möwen, bedrohliche Wolken am dunklen Himmel – mittendrin eine winzige Gestalt in schwarzem Gewand. ,,Der Mönch am Meer” konfrontiert uns nicht nur mit der überwältigenden Größe der Natur, sondern auch mit den Fragen und der Tiefe der menschlichen Seele. Zwischen Erhabenheit, Unendlichkeit und Vergänglichkeit wird das Landschaftsgemälde zu einer Seelenlandschaft.
Mit ,,Der Mönch am Meer” bricht Caspar David Friedrich (1774-1840) die Bildtraditionen der Landschaftsmalerei auf eine radikale Weise, denn der Bildraum bleibt größtenteils leer. Es lassen sich lediglich vier Elemente benennen: Strand, Meer, Himmel und Mönch. Am unteren Bildrand ist ein kahles, weißliches Dünenufer, welches in das schwarze Wasser des stillen, aber bedrohlichen Meeres hineinragt. Der dunkle Himmel lichtet sich in Richtung des oberen Bildrandes in ein tiefes Blau. Durch die horizontale Schichtung der Elemente Strand, Meer und Himmel fehlt dem Bild jegliche perspektivische Tiefe. Die Entfernungen im Bild sind somit unmöglich abschätzbar, wodurch das Meer und der Himmel eine unergründliche Weite erlangen. Als einziger Lebensfunke in der kargen Landschaft erscheint am unteren Bildrand eine winzige Figur: Der Mönch. Er steht in Denkerpose mit dem Rücken zu den Betrachtenden gekehrt und blickt von dem Dünenufer hinaus auf die Weiten des Meeres.
Die radikale Reduzierung der Bildkomposition lässt das Werk ,,uferlos” erscheinen, da auf eine typische Hineinführung des Betrachtenden in den Bildraum verzichtet wurde (Robinson 2024, S.50). Das daraus entstehende Gefühl beschreibt der Dichter Heinrich von Kleist ,,als ob Einem die Augenlider weggeschnitten wären”. Ähnlich wie der Mönch selbst sehen sich die Betrachtenden direkt mit der überragenden Größe und Unergründlichkeit der Natur konfrontiert. Friedrich schaffte hier eine Darstellung, deren eigentliche Bedeutung sich nicht auf der Leinwand abspielen soll, sondern sich erst im emotionalen Dialog zwischen Betrachtenden und Bild entfalten kann. Es eröffnet sich eine Möglichkeit zur Reflexion über die Beziehung zwischen Mensch und Natur als transzendente Kraft: Der Mönch scheint einerseits ohnmächtig und isoliert die Erhabenheit der Landschaft zu betrachten, andererseits wird er selbst Teil davon. Gleichzeitig verdeutlicht der harte Kontrast zwischen dem Küstenufer und den Weiten des Meeres, dass es sich hier nicht nur um eine physische, sondern auch um eine symbolische Grenze zwischen dem Mensch und der Unendlichkeit handelt. Welche Rolle spielt der Mensch in seiner fragilen Sterblichkeit im Angesicht der unergründlichen Unendlichkeit der Natur? Friedrich löst die klare Trennung zwischen Subjekt und Objekt auf: Der Mensch ist nicht mehr der dominierende Akteur, sondern eine verletzliche, vergängliche Erscheinung in einer allumfassenden Natur. Die Küstenlandschaft ist somit nicht nur Kulisse der Reflexion, sondern ein direkter Spiegel der menschlichen Existenzfragen und Seele und gilt als ,,Altarbild des modernen Menschen“ (Roters 1995, S. 27).
Das Geheimnis der Mönchsfigur

Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808-1810, Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin, Alte Nationalgalerie, Inv. Nr. NG 9/85.
Dass es sich bei der kleinen Figur am Meeresufer um einen Mönch handeln soll, wird lediglich durch den Titel des Bildes deutlich. Caspar David Friedrich beschreibt jedoch in einem seiner Briefe die Gestalt bloß als ,,Mann, im schwarzen Gewande” (Zschoche 2006, S.45) ohne die Figur ausdrücklich als Mönch zu benennen. Die Identität der Figur wird aufgrund des dunklen Gewandes nach Heinrich von Kleists einflussreichem Artikel über das Gemälde meist als Kapuzinermönch gedeutet. Ob es sich bei dem abgebildeten Person vielleicht sogar um den Künstler selbst handelt, ist unklar (Robinson 2024, S.50).
Die genaue Identität der Figur magvielleicht gar nicht so wichtig sein. Als viel wichtiger erscheint die Rolle, die sie im Bild einnimmt. Die kleine, nachdenkliche Figur erhält die Rolle eines Sinnbilds für den Dialog zwischen Mensch und der göttlichen Natur. Sie bietet den Betrachtenden einen Identifikationspunkt und lädt dazu ein die eigene Rolle auf der Erde im Angesicht der Unendlichkeit und Gewalt der Natur und der eigenen Vergänglichkeit zu hinterfragen. Die Mönchsfigur wird zum Symbol für die menschliche Sehnsucht nach Erkenntnis und den Versuch, das göttlich Erhabene und das Jenseits zu verstehen. Als Teil der Landschaft wirkt sie doch verloren und isoliert, als wäre der menschliche Geist dazu prädestiniert an dem Versuch, das Erhabene zu begreifen, zu scheitern. Friedrich selbst schreibt hierzu: ,,Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits!” (Zschoche 2006, S.45f.).
Unsichtbare Schiffe
Ursprünglich hatte Friedrich auf dem Meer drei zu kentern drohende Segelschiffe gezeigt, die er jedoch später übermalte (Robinson 2024, S. 50). Innerhalb seines Gesamtwerks waren Schiffe mehrmals Thema seiner Darstellungen (beispielsweise in ,,Das Eismeer“). Doch warum verwarf Friedrich genau hier dieses Motiv? Durch die bewusste Entscheidung, den Bildraum zu leeren, fehlt dem Gemälde ein zeichenhafter Gegenstand, auf den sich der Bildgehalt fokussieren lässt (Kirves 2020, S.7). Ohne jeglichen Anhaltspunkt bleibt nur der einsame Mönch zurück und vor ihm eine Szenerie, die sich endlos auszubreiten scheint. Ziel dieser Form von Darstellung ist nicht, ihren Gehalt zeichenhaft zu vermitteln, sondern diesen als Bilderfahrung mitzuteilen. Ohne die Segelschiffe fehlt dem Gemälde eine Vorgabe, die das Verständnis der Darstellung lenken oder vorgeben könnte. Anstelle dessen wird ein intensives Seherlebnis geschaffen, welches das Gemälde erlebbar macht. Erst durch dieses große ,,Nichts” entfaltet ,,Der Mönch am Meer” seine Monumentalwirkung.
Infrarotaufnahme des Gemäldes. Die übermalten Schiffe sind seit der letzten Restaurierung wieder blass sichtbar.
Die Abtei im Eichenwald

Caspar David Friedrich, Die Abtei im Eichenwald, um 1809/1810, Öl auf Leinwand, 110 x 171 cm, Berlin, Alte Nationalgalerie, Inv. Nr. NG 8/85.
Die etwa zeitgleich entstandenen Gemälde ,,Der Mönch am Meer” und ,,Die Abtei im Eichenwald” bilden zusammen ein Bildpaar, welches 1810 von Friedrich für die Berliner Akademieausstellung eingereicht und daraufhin vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. angekauft wurde (Robinson 2024, S.52). ,,Die Abtei im Eichenwald” zeigt eine Prozession von Mönchen, die einen Sarg durch das Portal einer von kahlen Eichen umstandenen Abteiruine tragen. Der Nebel im Hintergrund versperrt den Blick in die Ferne; nur ein blasser, zunehmender Mond ist am Himmel zu sehen.
Während beide Werke viele positive Kritiken erhielten, störten sich auch viele an der dunklen, melancholischen Stimmung der Gemälde, die ohnehin auf den ersten Blick eine eher ungewöhnliche Bilderkombination darstellten. Denn während Friedrich ,,Die Abtei am Eichenwald” symmetrisch aufbaute, entschied er sich bei ,,Der Mönch am Meer” dagegen. Trotzdem thematisieren beide Werke die existenzielle Beziehung zwischen Mensch und Natur, denn Friedrich setzt diese mit den verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens gleich (Robinson 2024, S.52). Die Natur dominiert in beiden Gemälden als transzendente, überwältigende Macht, doch ist ihre Funktion unterschiedlich: In ,,Der Mönch am Meer” wird ihre unergründliche Unendlichkeit und Größe als Seelenlandschaft symbolisiert. Dagegen zeigt ,,Die Abtei im Eichenwald” eine Art Todeslandschaft, die die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und das Unabwendbare des Todes thematisiert, jedoch ebenso die Hoffnung auf Erlösung und die Wandlung vom Dunkel des Todes zum ewigen Licht des Lebens verbildlicht (Kirves 2020, S. 23f.). Erst gemeinsam entfaltet sich der volle Bildgehalt der beiden Werke: Der Mönch vom Meer wird im Sarg zu Grabe getragen (Kirves 2020, S. 24).
Literatur
Martin Kirves: Der Mönch am Meer oder Caspar David Friedrichs Geheimnis. 2020, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2020/6937 [04.02.25].
Michael Robinson: Caspar David Friedrich. München ³2024.
Eberhard Roters: Jenseits von Arkadien. Die Romantische Landschaft, Köln 1995.
Herrmann Zschoche: Caspar David Friedrich. Die Briefe, Hamburg 2006.