Faszination Gefahr

Laura ten Brink

Wie nahe würde man sich selbst an einen brodelnden Vulkan herantrauen? Solch eine Frage kommt einem in den Kopf, besonders dann, wenn man die kleine Personengruppe entdeckt, die sich auf dem Weg zum feurigen Schlot befindet. Ist es die Neugierde auf dieses Naturereignis, die sie bewegt?

Aus dem Titel des um 1822 entstandenen großen Ölgemäldes Ausbruch des Vesuvs, der Künstler und sein Vater Carle Vernet im Vordergrund (The Museum of Fine Arts, Houston) geht hervor, dass Horace Vernet selbst den Vesuv während eines Ausbruches bestiegen hat. Ab dem 16.02.1820 hält sich der Künstler mit seinem Vater in Neapel auf und seit Dezember 1819 befindet sich der Vesuv in einer aktiven Phase (Kat. Versailles 2023, S. 128; Kat. Paris 1980, S. 16). In der Nacht des 23. Februar kommt es sogar zu einer großen nächtlichen Explosion (Kat. Versailles 2023, S. 128).

In Vulkanen finden Reisende die gewünschte Intensivierung des Reiseerlebnisses. Gerade der Vesuv als besonders aktiver Vulkan wird zum Anziehungspunkt der Grand Tour junger, wohlhabender Männer Europas; das bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese Begeisterung geht sogar so weit, dass Reisende sich darüber beschweren, der Vesuv wäre zu stark besucht (van der Thüsen 2008, S. 7 und 68). Sicherlich ist es auch diese Faszination für die Gefahr und die erschreckende Gewalt, die Horace Vernet dazu bewegt hat in Begleitung seines Vaters und eines Führers den Vesuv zu besteigen. Eine Vorzeichnung des Gemäldes, welches sich in einer weiteren Fassung auch in französischem Privatbesitz befindet, soll vom Künstler nach der Besteigung des Kraters gemalt worden sein (Kat. Versailles 2023, S. 128). Erst später im Atelier fertigte Vernet die größere Ölversion, die 1822 im Pariser Salon zu sehen war und für welche ihm daraufhin ein malerisches Talent ähnlich seines Großvaters Joseph Vernet nachgesagt wurde (Kat. Versailles 2023, S. 130).

Nahe herangerückt an die Krater befinden sich die fünf Figuren nur unweit der Lavaströme am linken Bildrand. Hinterfangen vom weißen Rauch wird einer der Führer beinahe zum Mittelpunkt des Gemäldes. Nur eine Gesteinswand trennt die Reisenden von der Lava. Große, schwarze Rauchwolken erheben sich vom Krater, aber auch Lavabrocken werden in den Himmel geschleudert, die ihnen gefährlich werden könnten. Mit feurig, glühenden Rottönen erweckt Vernet die Lava zum Leben, der Rest des Werkes bleibt farblich hingegen recht einfach in braun, grau und weiß. Vernet zeichnet nicht nur ein wirkliches Porträt des Vesuvs auf, sondern zeigt den Betrachtenden wie nahe sich Menschen an diese tödliche Gefahr wagen, um sie mit eigenen Augen wahrnehmen zu können (Kat. Versailles 2023, S. 130). Die Natur toppt alles an Spektakel, was Kunst und Kultur zu bieten hat, ein „einzigartiges, schreckliches, bewundernswertes, grauenhaftes und sublimes [Spektakel], welches die Feder nicht darstellen kann, und es muss gesehen worden sein, um sich davon eine genaue Meinung zu machen“,

(„[…] spectacle unique, affreux, admirable, hideux et sublime, que la plume ne peut rendre, et qu’il faut avoir vu pour s’en faire une juste idée[…] » ; (de la Chavanne 1835, S. 76.)),

welches auch heute noch Menschen in seinen Bann zieht.

Werkdaten

Horace Vernet, Ausbruch des Vesuvs, der Künstler und sein Vater Carle Vernet im Vordergrund, 1822, Öl auf Leinwand, 92,5 x 74 cm, Houston, Museum of Fine Arts, Inv. Nr. 2014.254. 

Der Vulkan zu Vernets Zeit

Johan Christian Dahl (links) und Pierre-Henri de Valenciennes (rechts) zeigen 1824 und 1813 auf andere Art und Weise wie sich die Faszination für die Gewalt und die Gefahr von Vulkanen auf die Kunst ausgewirkt hat. Oft wurde der Vulkan in der Nacht gezeigt, wie es bei Valenciennes der Fall ist. Bis Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Tradition entwickelt, sich zusätzlich auf den ausbrechenden Vulkan zu fokussieren (Drahos 2014, S. 76). Gerade dieser bot schließlich die Möglichkeit die Naturgewalt darzustellen, die ein Ausbruch mit sich bringt.

Johann Christian Dahl, Ausbruch des Vesuvs, 1824, Öl auf Leinwand, 94 x 139,1cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

Vergleichsweise wenig fatal erscheint der Ausbruch des Vesuvs bei Dahl. Im Hintergrund zeigt sich noch der blaue Himmel, während Lavaströme und Wolken auf den linken Bildbereich beschränkt bleiben. Einige Personen haben sich auch hier wie bei Horace Vernet an den Krater gewagt.

Pierre-Henri Valenciennes, Ausbruch des Vesuvs am 24. August des Jahres 79, 1813, Öl auf Leinwand, 148 x 196 cm, Musée des Augustins, Toulouse

Bei Valenciennes verschlingen die gewaltigen schwarzen Wolken in sich zusammenfallende Gebäude. Einige Boote mit Fliehenden auf dem Meer sind zu erkennen, andere Figuren sind zu Boden gesunken oder bereits in den Gebäuderesten eingeschlossen. Noch dramatischer zeigt dies die Arbeit von Karl Brjullow.

Unausweichliche Zerstörung

Fast täglich wird in den heutigen Medien von Überschwemmungen, Bränden oder Stürmen berichtet. Vulkanausbrüche finden sich dagegen beinahe selten und dennoch ist gerade der älteste überlieferte Augenzeugenbericht einer Naturkatastrophe über einen Vulkan: Plinius der Jüngere erlebt den Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. mit, den Valenciennes in seinem Werk in Szene setzt (Richter 2007, S. 19). Zerstörerisch ist jede Naturkatastrophe, doch insbesondere Vulkanausbrüche führen zu internationalen Auswirkungen. Die größte bekannte Eruption der Menschheit ereignete sich 1815, als der indonesische Tambora ausbrach (Haeseler 2016, S. 1). Das folgende Jahr ging als „das Jahr ohne Sommer“ in die Geschichtsbücher ein, da der Ausbruch und seine Folgen für klimatische Veränderungen auf der Welt sorgten.

Élisée Reclus, Krakatau und Nachbarinseln nach dem Ausbruch, in: A. H. Keane (Hg.); Élisée Reclus, The Earth and its inhabitants. Oceania, New York 1892, S. 86 und 87.

Ähnlich verheerend gestaltete sich nur einige Jahrzehnte später der Ausbruch des Krakatau. Der Knall war noch bis im 4.800km entfernten Mauritius zu hören, Erderschütterungen waren sogar noch auf der anderen Erdhalbkugel spürbar (Keane; Reclus 1892, S. 87f.). Gravuren der Inselgruppe vor und nach der Explosion zeigen deutlich die zerstörerische Gewalt des Vulkanes.

Henrik Thorburn, Ausbruch des Eyjafjallajokull, Fotografie, 17.04.2010.

Verheerende Auswirkungen auf Natur und Menschen waren also auch schon in vorherigen Jahrhunderten bekannt. Im heutigen Zeitalter werden Vulkane ständig beobachtet. Neueste Techniken können die kleinsten Beben und Veränderungen aufzeichnen. Zu verhindern sind Ausbrüche dennoch nicht, wie 2010 der isländische Eyjafjallajökull zeigt. Flugausfälle in ganz Europa folgten, doch auch der Vulkan leidet noch zehn Jahre später unter den Folgen, wie eine Seismologin im Deutschlandfunk berichtet; die Gletscher schmelzen durch die schwarze Asche noch schneller (Seynsche 2020). Und dennoch zieht die Katastrophe den Menschen an. Touristenzahlen haben sich seit 2010 verdreifacht (Seynsche 2020).

Dieses Gif zeigt den Ausbruch des Hunga Tonga im Jahr 2022 von einem Wettersatelliten aus. Die Stärke des Ausbruches reichte an jene des Krakatau von 1883. Die Folgen waren vielfältig. Asche und saurer Regen führten und führen auf dem Inselstaat zu Problemen in der Landwirtschaft. Vulkanasche schafft eine menschenunfreundliche Umgebung und sorgt für Wetterveränderungen. Trotz ständiger Überwachung ist der Mensch bei solchen Naturkatastrophen zum Zusehen gezwungen. Jedoch gibt es viele Menschen, die sich gerade von diesen Gewalten der Natur angezogen fühlen. Man begibt sich in Gefahr für den besten Schnappschuss. Wie schon vor Jahrhunderten Künstler, die mit ihren Werken die Natur zu übertreffen versuchten.

GOES-17 Wettersatellit, Ausbruch des Tonga, 15.01.2022

Literatur

C.D. de la Chavanne: Vésuve, in : L‘ Italie, la Sicile, les iles Eoliennes, l’ile d’Elbe, la Sardaigne, Malte, l’ile de Calypso, etc. D’après les inspirations, les recherches et les travaux […]. Royaume de Naples, sites, monumens, scènes et costumes, d’après Haudebourg-Lescot … [et al.], hg. von C.D. de la Chavanne u.a., Paris 1835.

Alexis Drahos: Orages et tempêtes, volcans et glaciers. Les peintres et les sciences de la terre aux XVIIIe et XIXe siècles, Paris 2014.

Susanne Haeseler: Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr 1815 und seine weltweiten Folgen, insbesondere das „Jahr ohne Sommer“ 1816, 27.07.2016, 20170727_tambora_1816_global.pdf [27.01.2025].

Ausst.-Kat. Versailles, Musée National du Château de Versailles et de Trianon: Horace Vernet. 1789–1863, hg. von Valérie Bajou, Dijon 2023.

Ausst.-Kat. Paris, Académie de France, Ecole nationale supérieure des Beaux-Arts: Horace Vernet, 1789–1863, Rom 1980.

Élisée Reclus: The Earth and its inhabitants, hg. v. A. H. Keane, Oceania/New York 1892.

Dieter Richter: Der Vesuv. Geschichte eines Berges, Berlin 2007.

Monika Seynsche: Vor 10 Jahren. Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, 20.03.2020, Vor 10 Jahren – Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull [27.01.2025].

Joachim van der Thüsen: Schönheit und Schrecken der Vulkane. Zur Kulturgeschichte des Vulkanismus, Darmstadt 2008.