Ein Schöpfer kommt selten allein – Hendrick Goltzius‘ Demogorgon

Louise Tjoline Keitsch

Der Vater aller Dinge Demogorgon pustet der Welt die Ordnung ein, die vielbrüstige Natura schießt das Leben in die rohe Landschaft. Hendrick Goltzius schafft hier eine Schöpfungsdarstellung, die den ewigen Kreislauf des Lebens betont: Transformation und Harmonie vereinigen sich unter dem Sternenhimmel.

Die chaotische Ur-Welt ist hier nicht rund, sondern oval: Auf einem kleinen Holzschnitt drängt sich die Schöpfungsgeschichte unserer Erde – eine, die uns eher unbekannt ist: Ein Alter mit Bart pustet hier in langen Schwaden Rauch in die felsige Landschaft, während eine Frau in einer Seifenblase die Welt mit Leben füllt. Der niederländische Maler, Zeichner und Kupferstecher Hendrick Goltzius (1558–1616) eröffnet um 1590 eine Reihe von Götter- und Göttinnendarstellungen mit deren Vater Demogorgon, der Verkörperung des Chaos und dem Handwerker dieser Welt.

Demogorgon sitzt in entspannter Körperhaltung vor einer Höhle inmitten einer Felsenlandschaft. Rauch steigt dem Greis aus dem Mund und windet sich in langen Schlieren um die Felsen und seinen mit Moos bedeckten Körper. Die Urgewalt zeigt mit einem Schwert auf den Nachthimmel und scheint dabei auf einer Steintafel Notizen festzuhalten, vielleicht dazu, wie er mit seinem Atem das ungeformte Universum transformiert.

In seinem Schaffensprozess ist er nicht alleine: In einer Seifenblase auf der rechten Seite sitzt die vielbrüstige Diana von Ephesus, die als Personifikation der Fruchtbarkeit die Natur symbolisiert. In ihren Armen hält sie einen Apparat, aus dem sie einen Schwall Leben aus der Blase schießt: In der Fontäne lassen sich einige Tiere und Pflanzen ausmachen, die die karge Landschaft mit Leben füllen werden. Der Schöpfer lässt ihr dabei freien Lauf; die Natur selbst ist hier Akteurin und füllt ihre eigene Erde. Dass sie damit noch am Anfang steht, wird durch den Mangel an Pflanzen und die noch fehlenden Tiere offensichtlich. Eine zeitliche Unterwerfung der Natur wird durch die Sonnenuhren symbolisiert, die hinter ihr über dem Höhleneingang am Fels hängen und ihre Seifenblase rahmen. Genau wie diese verletzliche Sphäre weisen sie ebenfalls auf die Vergänglichkeit der Welt hin und kontrastieren so den Ouroboros, das Symbol des ewigen Kreislauf des Lebens und der Unendlichkeit: Die Schlange, die den perfekten Kreis bildet, indem sie in ihre eigene Schwanzspitze beißt.

Goltzius fängt das geschäftige Treiben und die Harmonie der Genesis in diesem Holzschnitt ein. Die Vielfalt der Tiere und Pflanzen, die die Natura zur Welt bringt, wird die rohe Felsenlandschaft in unsere Welt transformieren. Auffällig ist das Fehlen des Menschen in der frühen Welt – durch die Sonnenuhren, die Schreibtafel, das Schwert und die auffällige Körperlichkeit des Demogorgons sind wir bei Goltzius‘ Vision unseres Ursprunges dennoch ‚im Bilde‘.

Werkdaten

Hendrick Goltzius, Demogorgon aus der Reihe „Demogorgon und drei Götterpaare“(?), um 1590, Farbholzschnitt von drei Stöcken, 366 x 280 mm, Göttingen, Kunstsammlung der Georg-August-Universität, Inv. Nr. D 4395.

Die Götterpaare

Hendrick Goltzius stellt neben dem Ursprung der Welt auch drei Götterpaare dar, die über unsere Welt regieren. Der Sonnengott Helios steht auf einem Regenbogen vor dem Licht, Nox, die Personifikation der Nacht, wird auf ihrem Wagen durch den Nachthimmel gezogen. Pluto wird in Rückenansicht vor der Unterwelt, seine Frau Proserpina umgeben von Früchten und Pflanzen gezeigt. Der Meeresgott Okeanos und seine Schwester Tethys reiten auf Seeungeheuern über das Meer. Die Götter und Göttinnen formen dabei Gegensätze: Tag und Nacht, Winter und Sommer, alt und jung – so ergänzen sie die Demogorgon-Darstellung. Als seine Kinder führen sie in diesen Farbholzschnitten den Kontext der Zeit und der Zyklen fort.

Karel van Manders Demogorgon

Karel van Mander (1548–1606), ein guter Freund von Hendrick Goltzius aus der Haarlemer Akademie veröffentlichte um 1611 die Van de Wtbeeldinghen der figueren (Scan 552/608), eine Sammlung von mythologischen Bildtraditionen. In der Einleitung des ersten Buches (van Mander 1611, fol. 264v) beschreibt er die Darstellung des Demogorgon so, als hätte Goltzius‘ Holzschnitt vor ihm gelegen:

 

 Hendrick Goltzius, Demogorgon aus der Reihe „Demogorgon und drei Götterpaare“(?), um 1590, Farbholzschnitt von drei Stöcken, 366 x 280 mm, Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4395.

Ein blasser, grauhaariger Mann mit Bart, mit Moos bekleidet und bedeckt mit Wolken, der sich vor einer Höhle zurücklehnt:

Desen was geschildert als een bleec /
verimpelt / graeuw-hayrigh / en beardigh oude
Man / met groen mosch becleet / en beschaduwt
met vochtighe mist-wolcken / liggende luylijck
in’t voorste deel van een dobbel Spelonck oft
kuyl.

 Hendrick Goltzius, Demogorgon aus der Reihe „Demogorgon und drei Götterpaare“(?), um 1590, Farbholzschnitt von drei Stöcken, 366 x 280 mm, Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4395.

Den Ouroboros begleitet eine Personifikation der Ewigkeit – in Hendrick Goltzius‘ Holzschnitt steht die Schlange hingegen für sich:

Ter eender sijde hadde hy de Euwic=
heyt / al in’t groen gecleedt / om datse altijt
jeughdigh blijft: Dese hadde een groen blinc=
kende Slanghe / die eenen ronden krinck ma=
kende / den steert hadde in den beck: want haer
hoost was gelijk een Sperwers.

 Hendrick Goltzius, Demogorgon aus der Reihe „Demogorgon und drei Götterpaare“(?), um 1590, Farbholzschnitt von drei Stöcken, 366 x 280 mm, Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4395.

Zu seiner Seite ist das körperlose Chaos: Der Rauch, den Demogorgon ausstößt:

Op d’ander
sijde van hem was den Chaos, die sommighe
oock den Demogorgon achteden te wesen: Dit
was soo ghemaeckt / gelijck eenen onbesuysden
hoop / sonder soo volcomen Mensch ghedaent
te hebben.

 Hendrick Goltzius, Demogorgon aus der Reihe „Demogorgon und drei Götterpaare“(?), um 1590, Farbholzschnitt von drei Stöcken, 366 x 280 mm, Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4395.

Aus der Höhle erhebt sich die vielbrüstige Mutter Erde:

Wt desen verhaelden kuyl quam op=
stijghen / met bloemkens en vruchten gheciert /
de veel-borstighe Moeder d’Aerde.

Literatur

Nancy Bialler: 26–32. The Deities, c. 1588–1590, in: Ausst. Kat. Amsterdam, Rijksmuseum/Cleveland, The Cleveland Museum of Art: Chiaroscuro Woodcuts. Hendrick Goltzius (1558–1617) and his Time, hg. v. Nancy Bialler, New York o.J. [1993], S. 115, f.

Nancy Bialler: 26. Hendrick Goltzius, Demogorgon in the Cave of Eternity, in: Ausst. Kat. Amsterdam, Rijksmuseum/Cleveland, The Cleveland Museum of Art: Chiaroscuro Woodcuts. Hendrick Goltzius (1558–1617) and his Time, hg. v. Nancy Bialler, New York o.J [1993], S. 117–120.

Karel van Mander: Wtleggingh op den metamorphosis Ovidij, Amsterdam 1611 (?), https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10242271 [01.02.2025].

Christien Melzer: 11. Die Gottheiten, 1588/90, in: Ausst. Kat. Bremen, Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett: Virtuos imitiert. Die Meisterstiche des Hendrick Goltzius (1558–1617), hg. v. Christien Melzer (Kataloge des Kupferstichkabinetts, 7), Bremen 2014, S. 48–51.

Ariane Mensger: 13. Hendrick Goltzius, Willem Jansz. Blaeu, Demogorgon und die Götter, um 1588/90, in: Ausst. Kat. Basel, Kunstmuseum, Kuperstichkabinett: Bestechend gestochen. Das Unternehmen Hendrick Goltzius, hg. v. Ariane Mensger, München 2016, S. 52–57.

Anne-Katrin Sors: 17. Demogorgon und drei Götterpaare, in: Ausst. Kat. Freiburg, Städtische Museen, Haus der graphischen Sammlung/Göttingen, Kunstsammlung der Georg-August-Universität: Verwandlung der Welt. Meisterblätter von Hendrick Goltzius, hg. v. Stephanie Stroh u.a., Freiburg 2020, S. 142–144.