Das Paradies:
Zwischen Sehnsucht und Vergänglichkeit

Ramona Heubeck

Wie sieht für Euch das Paradies aus?
Der niederländische Maler Roelant Savery gibt uns mit seinem Gemälde von 1625 einen Einblick in die Vorstellung seiner Zeit: Eine grüne Landschaft mit vielen Tieren, die harmonisch miteinander leben. Doch im Hintergrund bahnen sich schon dunkle Wolken an – ist das Paradies in Gefahr?

Das Paradies als üppige, tierreiche Natur entspricht seit Jahrhunderten den Vorstellungen und Sehnsüchten von Menschen und Künstler:innen. Bereits in der Bibel wird es als Garten Eden beschrieben (Gen 2). Auch Saverys Paradies-landschaft besiedeln, meist paarweise, zahlreiche Tiere aus verschiedenen Erdteilen. Pferde, Löwen, Elefanten, Kamele, Hirsche und verschiedenste Wasservögel leben hier friedlich zusammen. Die hügelige grüne Landschaft ist von großen Laubbäumen umgeben, nur an einer kleinen Stelle wird der düstere Horizont sichtbar.
Roelant Savery war im frühen 17. Jahrhundert bekannt für seine tierreichen Landschaften, besonders für die zahlreichen Umsetzungen des Paradiesgartens.

Nicht als „Krone der Schöpfung“ in Szene gesetzt, sondern beinahe unscheinbar stehen Adam und Eva im Hintergrund vor einem großen Baum. Eva ist gerade dabei, Adam den Apfel der Schlange zu reichen, die sich um einen Ast windet. Der Sündenfall des ersten Menschenpaares (Gen 3) ist also unmittelbar Teil von Saverys Paradieslandschaft. Und auch die dunklen Wolken im Himmel kündigen es bereits an: In der biblischen Überlieferung folgen auf den Sündenfall die Vertreibung aus dem Garten Eden (Gen 3, 23,24) sowie die Sintflut (Gen 6-7). Das Paradies ist also vergänglich. Durch den Menschen bricht nach dem paradiesischen Urzustand im Garten Eden Negatives über ihn und die Tier- und Pflanzenwelt herein – und weitere Katastrophen werden kontinuierlich folgen.

Wirft man einen Blick auf die Entstehungszeit des Werkes, wird klar, warum sich Savery in dieser Zeit vermehrt mit der Darstellung des Paradieses auseinandergesetzt hatte: Ab 1618 wütete der Dreißigjährige Krieg in Europa. Unzählige Menschen starben, Hungersnöte und Seuchen verbreiteten sich und durch die Gefechte wurden europäische Naturlandschaften zu weiten Teilen zerstört. Vor diesem Hintergrund erscheint Saverys Paradiesgemälde als Blick in eine harmonische, intakte Welt wie eine Hoffnung, an die sich geklammert wird. Die Sehnsucht nach einem grünen, friedlichen Garten Eden wird deutlich. Die Paradiesbilder dieser Zeit sind als eine künstlerische Flucht aus der schrecklichen Realität des Dreißigjährigen Krieges zu sehen.

Auch drei Jahrhunderte später im und bereits vor dem Ersten Weltkrieg drückten Künstlerinnen und Künstler ihren Wunsch nach Ruhe und Harmonie in Paradiesbildern aus, wie auch die beiden befreundeten Expressionisten August Macke und Franz Marc, die im Jahr 1912 gemeinsam ihre Vorstellung des Paradieses malten.

Werkdaten

Roelant Savery, Paradies, 1625, Öl auf Leinwand, 84 x 140 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv. Nr. Gm 2536.

Werkdaten

August Macke und Franz Marc, Paradies, 1912, Ölfarbe auf Wandverputz, 398 x 181cm, ehemals Bonn, Atelier August Macke, heute Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Inv. Nr. 1608 LM

Das expressionistische Paradies

Das Paradies von August Macke und Franz Marc zeigt eine stufige grüne Landschaft mit Bäumen, Felsen und einer Wasserstelle. Einige Affen, ein Reh, ein Stier, ein Fuchs und eine Biene leben hier friedlich beisammen. Wie bei Savery sind auch Adam und Eva dargestellt, jedoch nicht während des Sündenfalls und damit das drohende Unheil ankündigend, sondern ruhig und im Einklang mit der Umgebung. Adam greift nach einem der Äffchen, er ist also in direktem Kontakt mit den Tieren, während Eva still inmitten der Natur sitzt. Der Himmel ist durch den Sonnenuntergang rot gefärbt.

Wie auch bei Savery stehen das harmonische Miteinander der Tiere und, noch stärker, das von Mensch und Tier im Fokus des Werkes. Der vollkommene Einklang des Menschen mit der ihn umgebenden Natur wird dargestellt – eines der Leitthemen des Expressionismus. Kein Sündenfall und kein Unwetter deuten die drohende Katastrophe an. Das Werk ist damit als eine Verkörperung des irdischen Paradieses, als Utopie der Harmonie und des Einklangs sowie als Sehnsuchtsort und Flucht aus der modernen und bedrohlichen Realität des beginnenden 20. Jahrhunderts zu sehen.

Am rechten Bildrand fallen ein Eselreiter und orientalisch gekleidete Figuren auf. Diese sind von August Macke wohl 1914 nach einer Tunesienreise ergänzt worden. Während seines gesamten Schaffens war für Macke der Orient der Inbegriff von Naturnähe und Harmonie zwischen Mensch, Tier und Natur – und kam für ihn damit dem Paradies am nächsten.

Nur wenige Wochen nach dieser malerischen Ergänzung brach der Erste Weltkrieg aus, der für beide Künstler den Kriegsdienst sowie den Tod an der Front in Frankreich bedeutete. Macke fiel bereits zwei Monate nach Kriegsbeginn, Marc starb im März 1916. Durch das Schicksal der beiden Künstler wird das gemeinsame Paradiesbild umso mehr zum persönlichen Sehnsuchtsort und zum Ausdruck des Wunsches nach Naturnähe, Harmonie und Frieden.

Naturstudium in frühen Tiergärten

   

Die Szene Saverys zeichnet sich in der Darstellung der Tiere und besonders auch in der Ausführung fremdländischer Arten durch eine starke Naturnähe aus. In seiner Zeit als Maler am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag (etwa 1603-1617) hatte er Zugang zur kaiserlichen Menagerie – den Vorläufer späterer zoologischer Gärten. Dort konnte er vor Ort verschiedenste Tiere studieren und zeichnen. Durch den zunehmenden Welthandel kamen in dieser Zeit auch immer mehr „exotische“ Tiere an die Herrscherhöfe in Europa. Diese frühen Zoos verkörperten mit ihrer tierischen Vielfalt eine Art zeitgenössischen Garten Eden auf Erden, durch den sich der Kaiser als zweiter Schöpfer und Herrscher über die Geschöpfe der Natur inszenieren konnte.

Das Bild zeigt somit indirekt auch eine Auswirkung der voranschreitenden Globalisierung des 17. Jahrhunderts sowie die machtpolitische Stellung der europäischen Fürsten auf, durch die es dem Künstler erst möglich war, diese unbekannten Tiere zu sehen. Am Prager Hof hatte Savery zudem die Möglichkeit, verschiedenste Tier- und Pflanzenbücher zu studieren und somit als Grundlage für seine Landschaftsgemälde zu nutzen.

Es handelt sich jedoch nicht um eine reale Landschaft, die Savery uns hier vor Augen führt. Vielmehr ist es eine Komposition, die aus verschiedenen Elementen zu einer Gesamtinszenierung zusammengesetzt ist. Felsen, Hügel, Gewässer sowie die Bäume als Rahmung sind ein wiederkehrendes Element in Saverys zahlreichen Landschafts- und Paradiesgemälden, die um 1620 entstehen.
Deutlich macht dies der Vergleich mit einem zeitnahen Werk: Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine felsige von Bäumen gesäumte Landschaft mit Durchblick in den Hintergrund – diesmal steht die Arche jedoch bereits bereit, um die Menschen und zahlreichen Tiere vor der nahenden Sintflut zu retten.

Roelant Savery, Vor der Sintflut, 1620, Öl auf Eichenholz, 82 x 137 cm,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 932

Schon gewusst?

Der Erwerb des Paradiesgemäldes von Roelant Savery im Jahr 2022 war einer der wesentlichen Impulse für die große Sonderausstellung „Hello Nature“, die von 3. Oktober 2024 bis 2. März 2025 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg stattfand – ein Bildausschnitt wurde daher auch zum Plakatmotiv und Teaser der Schau!
Die Ausstellung thematisiert die Beziehung zwischen den Menschen und der Natur von der Steinzeit bis in die Gegenwart, führt uns Probleme, Veränderungen und neue Denkansätze vor Augen und geht der Frage nach, wie wir künftig zusammenleben wollen.

Neugierig geworden? Hier findet ihr alle Infos zur Ausstellung!

Literatur

Ina Ewers-Schultz: „Unfaßbare Ideen äußern sich in faßbaren Formen“. August Mackes Paradiesvision, in: Das (verlorene) Paradies. Expressionistische Visionen zwischen Tradition und Moderne, hg. v. Klara Drenker-Nagels, Bonn 2014, S. 42-53.

Ernst-Gerhard Güse: Die Gemälde von Franz Marc und August Macke (Bildhefte des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Nr. 17), Münster 1987.

Ausst.-Kat. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum: Hello Nature. Wie wollen wir zusammenleben?, hg. v. Susanne Thürigen u.a., Nürnberg 2024, S. 274, Nr. 84.

Kurt J. Müllenmeister: Roelant Savery. Kortrijk 1576 – 1639 Utrecht. Hofmaler Kaiser Rudolf II. in Prag. Die Gemälde mit kritischem Oeuvrekatalog, Freren 1988, S. 307, Nr. 231.

Uta Neidhardt/Konstanze Krüger: Das Paradies auf Erden. Flämische Landschaften von Bruegel bis Rubens. Dresden 2016,           S. 274f.

Roelant Savery, Paradieslandschaft (Gm 2536), in: Objektkatalog Germanisches Nationalmuseum, http://objektkatalog.gnm.de/objekt/Gm2536 [04.02.2025].