Die Schönheit des Schreckens
Sema Nur Kaymakci
Die weiße, einsame Eislandschaft ist in der endlosen Kälte gefangen. Sie wirkt erschreckend und doch kann man dem Eismeer seine Schönheit nicht aberkennen. Was versteckt sich unter diesen eisernen Schichten? Vielleicht die Antwort darauf, weshalb dieses 200 Jahre alte Gemälde für die heutige Klimafrage so wichtig ist?
Sich übereinander auftürmende Eisplatten verzieren den Vordergrund und das Zentrum des Bildes. Sie liegen quer, mal spitz in die Höhe ragend und mal horizontal der Leinwand entgegen. Erst auf den zweiten Blick wird rechts im Gemälde ein gekentertes Schiff erkennbar. Das Zeugnis einer gescheiterten Expedition. Links sind zwischen den gesplitterten Platten einzelne Holzstangen sichtbar, die nicht wie zunächst vermutet dem Gefährt zugehörig sind, sondern Fichtenstämme darstellen (Rautmann, 1991, S. 11). Im Hintergrund die weiß-blaue Ferne der Eislandschaft.
Caspar David Friedrich (1774–1840) ließ sich von seiner Heimat Dresden inspirieren, wo im Winter 1820/21 eisige Temperaturen herrschten und die Elbe zufror (Leppien, 1993, S. 26 und Schmied, 2002, S. 108). Er fertigte Ölstudien zu Eisschollen an, welche er in seinem Werk verarbeitete. Auch ein Zeitungsartikel zur Nordpol-Expedition mit dem Forschungsreisenden William Edward Parry half zur Anregung (Leppien, 1993, S. 28). Dennoch ist die hier dargestellte Landschaft frei erfunden, sie soll aber Grönlands Küste darstellen (Schmied, 1993, S. 108). Es ist die imaginierte Vorstellung einer unnahbaren Eiswüste, die alles und jeden zum Tode verurteilt und gleichzeitig eine atemberaubend schöne Natur widerspiegelt (Schmied, 1993, S. 110). Die Schönheit des Schreckens.
Der Künstler zeigt seine Natur als erhaben bedrohlich, die kantigen Eisplatten überschatten das Expeditionsschiff mit Angst, Einsamkeit und Tod (Liebs, 2017). Auf der anderen Seite der Mensch, der die natürlichen Grenzen überschreitet und trotz des eisigen Meeres seinen Forschergeist nähren muss. Der Mensch tastet sich an die unberührte Natur und wird mit der Naturgewalt konfrontiert. Wehrt sich so die Natur selbst? Das Eismeer ist eine Allegorie für die Gier des Menschen, die Natur, egal in welcher Hinsicht, einzunehmen. Die Neugier übernimmt die moralischen Werte und führt dazu, dass wir keine Grenzen kennen. Friedrich zeigt eine wilde Natur vor dem Menschen, es kann aber auch als ein Bild des Untergangs verstanden werden. Es ist keine Menschenseele mehr übrig, es bleiben nur Holztrümmer zurück, die letzten Spuren der Zivilisation; nur noch Eiswüste (Liebs, 2017). Gewiss ist das Eismeer auch eine Erinnerung an die Vergangenheit. Diese erhabene Eiswüste, so schön und romantisierend sie auch wirkt, existiert nicht mehr (Liebs, 2017).
Ólafur Elíassons Ice Watch ist eine interaktive, partizipative Installation, die ihre BesucherInnen auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen möchte. Es soll visualisiert werden, wie schnell das Eis der Arktis schmilzt (Yayan und Han, 2021, S. 30).
Hierfür arbeitete der dänische Künstler mit dem Geologen Minik Rosing zusammen: sie ernteten und transportierten 30 Eisblöcke aus dem Nuup-Kangerlua-Fjord in Grönland (Todd, 2020, S. 1119). Die Installation wurde im Dezember 2018 vor der Tate Modern in London aufgestellt und den BesucherInnen ergänzend mit dem aktuellen UN-IPCC-Bericht präsentiert. Das Werk bestand aus 24 Eisblöcken, die wie eine Sonnenuhr formatiert waren. „Das Werk schärft das Bewusstsein für den Klimawandel, indem es die Realität des schmelzenden arktischen Eises direkt und greifbar erfahrbar macht“, so erklärt Elíasson seine Ice Watch (Smith, 2020, S.29).
Kunstobjekte, die unsere Meinung über den Klimawandel schärfen sollen, haben ihre eigenen Lücken: Die internationale Kunstszene ist kohlenstoffintensiv (Smith, 2020, S.29). Kunstwerke werden um die Welt transportiert, zu denen dann KunstliebhaberInnen fliegen, um sie zu sehen. Die klimapolitische Kunst ist somit ungewollt in eine Ironie verwickelt durch den emissionsverursachenden Transport, den sie mit sich bringt (Smith, 2020, S.29).
Das Eismeer schmilzt
Eisfjord in Ilulissat, Grönland, Foto: Sean Gallup, Getty Images.
Eisberg in Ilulissat, Grönland, Foto: Getty Images.
Die Arktis ist die Region der Welt, die vom Klimawandel am stärksten betroffen ist (Cavalieri und Harlaß, 2011, S.215 f.). Im Laufe des 20. Jahrhunderts stiegen hier die Temperaturen um 1-2°C an, was doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt ist. In bestimmten Regionen der Arktis sind die Durchschnittstemperaturen bereits um 5°C gestiegen. Nicht nur Treibhausgase, sondern auch Ruß führen dazu, dass sich der Klimawandel hier so schnell ereignet. Nach der Auswertung von Satellitendaten hat man herausgefunden, dass der Eispanzer seit der Temperaturerwärmung auf Grönland 1996 mehr Sonnenlicht absorbiert. Dies führt zu einem großen Problem, denn: „Je mehr Sonnenenergie der Schild aufnimmt, desto schneller schmilzt das Eis. Zugleich wird es immer dunkler, weil Staub- und Rußpartikel, die in Schnee und Eis eingeschlossen sind, freigesetzt werden. Und je dunkler die Oberfläche ist, desto weniger Sonnenlicht reflektiert sie.“ (Becker, 2016, S. 30).
Das die Klimalage mehr als ernst ist, zeigte der 14. August 2021: In der höchst gelegenen Wetterstation Grönlands regnete es (Jacob, 2024). Es heißt, dass es dies „seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie gegeben“ hat (Jacob, 2024). Auf der Insel schmolz das Eis. 2021 „verlor der Eispanzer gut 12 Milliarden Tonnen, also etwa 12,5 Kubikkilometer, an einem einzigen Tag“ (Jacob, 2024).
Weiter wird „im aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC [durch] Modellrechnungen [gezeigt], dass die Arktis Mitte des Jahrhunderts eisfrei sein könnte, wenn kein ausreichender Klimaschutz betrieben wird“ (Sander, 2025).
Mogens-Heinesen-Fjord, Grönland, Foto: Benoit Lecavalier.
„Das erfolgversprechendste Mittel, das der EU zur Verfügung steht, um die Entwicklung in der Arktis positiv zu beeinflussen, ist die Umweltpolitik. Die EU sollte mit einer nachhaltigen Politik ihren ökologischen Fußabdruck in der Nordpolregion verringern“ (Cavalieri und Harlaß, 2011, S.212).
Außerdem haben Wissenschaftler Lösungsansätze: Unter dem Begriff „Geoengineering“ sollen menschgemachte Projekte in das Klima eingreifen (Henke, 2018).
Eine der Ideen „schlägt vor, das Abschmelzen der arktischen und antarktischen Gletscher zu verhindern: mit gigantischen Dämmen und künstlichen Inseln“ (Henke, 2018).
Literatur
Olaf Otto Becker: Grönlands Eis frisst sich selbst, in National Geographic, Heft 8 (2016).
Sandra Cavalieri und Katrin Harlaß: Spurensuche. Der ökologische Fußabdruck der EU in der Arktis, in: Osteuropa, Vol. 61, No. 2/3, Logbuch Arktis: Der Raum, die Interessen und das Recht (2011).
Andrea Henke: Kann man die Gletscherschmelze stoppen?, in: National Geographic, Heft 11 (2018).
Klaus Jacob: Die große Schmelze, 02.01.2024, https://www.mpg.de/21320411/schmelzende-gletscher-groenland [04.02.2025].
Helmut R. Leppien: Caspar David Friedrich in der Hamburger Kunsthalle, Stuttgart 1993.
Holger Liebs: Klimawandel. „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich, 20.12.2017, https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2017/12/klimawandel-das-eismeer-von-caspar-david-friedrich [04.02.2025].
Peter Rautmann: C.D. Friedrich. Das Eismeer. Durch Tod zu neuem Leben, Frankfurt am Main 1991.
Lalon Sander: Klimawandel. So schnell schmilzt das Meereis der Arktis, 04.02.2025, https://www.ndr.de/nachrichten/info/Klimawandel-So-schnell-schmilzt-das-Meereis-der-Arktis,meereis100.html [04.02.2025].
Wieland Schmied: Caspar David Friedrich, Köln 2002.
William S. Smith: Climate changes everything. Ecological crisis isn´t just a topic for art to address. It´s a condition that informs all contemporary art, in: Art in America 108 (2020).
Sharon Todd: Creating Aesthetic Encounters oft he World, or Teaching in the Presence of Climate Sorrow, in: Journal of Philosophy of Education, Vol. 54, No. 4 (2020).
Gonca Yayan und Yusuf Han: Mehmet Kavukcu ve Olafur Eliasson´un Eserlerinde Küresel Bir Sorun Olan Su, in: Uluslararasi Sosyal Bilimler Dergisi (2021).